Aus gegebenem Anlass befasse ich mich
gerade mit der Gangmechanik des modernen deutschen Warmbluts und das,
was ich sehe, passt zu den Problemen der meisten Pferderassen. Zuerst
aber ein anderer Punkt:
Schieberitis und Trageritis
Begriffsallergien machen das Leben schwer, wenn man
miteinander kommunizieren will. Ich habe eine Allergie gegen den
Ausdruck „Tragkraft der Hinterhand“, während andere allergisch
auf den Begriff „Schubkraft“ reagieren. Im Grunde genommen
beziehen sich die jeweiligen Abneigungen auf das, was in der
Reiterwelt mit diesen beiden Begriffen verbrochen wird. Wenn ich
„Tragkraft der Hinterhand“ höre, habe ich immer viel zu weit
untergeschobene Hinterfüße, ein im Lumbosakralgelenk abgekipptes
Becken und in Stellung durch die Bahn schleichende Pferde vor Augen,
die im Gelände weder bergauf noch bergab laufen könnten. Die
Schubkraft-Allergiker sehen weggedrückte Rücken, gestauchte
Pferdehälse und nach hinten herausgestellte Hinterbeine. Diese
Allergien entwickeln sich, wenn man in unterschiedlichen Reitweisen
die Auswüchse gesehen hat, zu denen ein falsches Begriffsverständnis
führt.
Deshalb möchte ich zu den Begriffen
Tragkraft und Schubkraft noch die Begriffe Schieberitis und
Trageritis für die krankhaften und krank machenden Bewegungsmuster
der Hinterhand einführen. Die Pferde benötigen ihre Schubkraft
dringend, weil sich nach meinem Verständnis nur daraus ganzheitliche
Tragkraft entwickeln lässt. Deshalb möchte ich mit dieser
Differenzierung die Begriffe in ihrer ursprünglichen Bedeutung im
Sinne der Pferde zurückerobern.
Hypermobilität
In Ermangelung einer echten Gebrauchsreiterei bewegen sich sowohl die Zucht (Pro Equo e.V.) als auch das Reiten auf Abwegen. Zucht, Reiten und Pferdeausbildung stehen und fallen mit den Vorstellungen des Menschen von dem, was schön und gut und richtig ist. Und diese Vorstellung bewegt sich in allen Bereichen und Reitweisen weg vom Ursprung, dem Tragen, hin zu vermeintlicher Schönheit, Show und Modeerscheinungen. Vor allem bewegt sie sich weg vom Körpergefühl hin zu einer übersteigerten visuellen Ästhetik.
In allen Reitweisen wird die
Stützbeinphase vor allem im Trab künstlich verlängert, so, dass
die modernen Warmblüter aufgrund ihrer langen Beine und ihrer
Beweglichkeit im Bodenkontakt mehr Raum überbrücken als in der
Luft. Die Reitkunstpferde bleiben ebenfalls am Boden kleben und heben
ihre Füße fein zierlich, wo der Warmblüter sie ohne Rücksicht auf
die tiefe Beugesehne des Stützbeines nach vorne schmeißt und zeigen
häufig eine „Vierbeinstütze“. Selbst auf den „besseren“
Bildern, beispielsweise in Heuschmanns „Balanceakt“, fußt der
Hinterfuß im Trab vor dem diagonalen Vorderfuß ab, was ein klarer
Beweis dafür ist, das die Kraftphasen innerhalb der Stützbeinphasen
verdreht sind. (Siehe Posts zur Ellbogenarthrose oder zur
Piaffe).
Training
In gesunder Bewegung müssen alle
Gelenke in ihrer Kraft bleiben und daher entweder von Natur aus oder
duch Anpassung der Anforderungen und des Trainings in ihrer
Beweglichkeit stabilisierend eingeschränkt werden. Dafür brauchen
wir als Menschen erstmal ein Gefühl dafür, in welchen Winkeln die
Gelenke Kraft übertragen können (ja, hier geht es weiter mit
Biotensegrity!), ohne Schaden zu nehmen oder die im Ganzen benötigte
Kraft irgendwo wieder zu verlieren.
Durch den überzogenen Bodenkontakt
gibt es keine echte Schwebephase mehr, die m.E. aus der korrekten
Koordination von Schubkraft (gerichtete Kraft in Körpereinheit)
hinten und Tragkraft vorne entsteht. Die Pferde werden regelrecht in
den Boden gedrückt.
In einer „schlankeren“
Stützbeinphase liegt die Betonung der Bewegung auf der Entladung der
Kraft in die richtige Richtung und der Pferdekörper arbeitet
verschleißärmer. Es gilt, das optimale Drehmoment zu finden. Bei zu
großer Beweglichkeit (Dehnbarkeit des Bindegewebes) hat der Körper
zu wenig Kraft, bei zuviel Kraft (Straffheit des Bindegewebes) hat er
zu wenig Beweglichkeit. Zu viele Pferde nehmen am Ende der Stützbeinphase einfach den Fuß vom Boden weg, ohne vorher Kraft auf dem richtigen (sprich: hilfreichen) Weg in den Körper geschickt zu haben.
Womit wir bei meinem Lieblingsthema,
dem Faszientraining angekommen wären. Der Faszienkörper lässt
sich trainieren und innerhalb von zwei Jahren komplett erneuern und
mit seinen Bewegungsmustern umstrukturieren. Allerdings nur
dann, wenn man sich klar macht, dass es inzwischen nicht mehr primär
um das Geschmeidigmachen eines zu strammen Bindegewebes geht, wie es
noch bis in die 70er Jahre hinein war, sondern um die Stärkung eines
zu schwachen Bindegewebes. Dass der Pferdekörper sich nicht
zusammenfalten darf, sondern sich ausdehnen muss. Hypermobile Pferde,
die sich in fast allen Rassen zunehmend finden, können mit den
Methoden, die für straffe, feste Pferde entwickelt wurden, nur
kaputt trainiert werden. Und der Verzicht auf Schubkraft ist hier
auch keine Lösung. Schubkraft kann nicht im Hinterbein in Tragkraft
umgewandelt werden, sie kann nur in der Vorhand transformiert werden.
Dafür benötigt man Ideen und Bewegungsvorstellungen, die sich bei
den alten Meistern nicht finden lassen – nicht, weil die zu doof
gewesen wären, darauf zu kommen, sondern weil sie andere Pferde
hatten, die ihren Reitern andere Probleme machten. In der heutigen
Sportreiterei finden sich, selbst bei den AusbilderInnen, die für
ihre „Pferdefreundlichkeit“ bekannt sind, nur Behelfsmaßnahmen,
die zwar noch helfen, die gewünschten Resultate zu erzielen, aber
den Pferdeverschleiß immer weiter erhöhen und absolut nichts mit
Training für das Pferd zu tun haben.
Einem neuen Problem kann man nicht mit
alten Lösungen beikommen.
*Dieser Begriff stammt aus einem Zitat von Prof Dr med Fritz Schiller aus einem Zitat von Ellen Wolff.