
... sollte der Titel dieses Posts heißen. Der Text war auch schon fertig, den hänge ich gleich hinten dran. Zuvor jedoch noch eine Bemerkung: Nach "
Trageerschöpfung" ist der häufigste zu diesem Blog führende Suchbegriff "
Fesselringbandsyndrom". Die häufigste Ursache für
beides ist falsches Reiten aufgrund falsch oder nicht verstandener biomechanischer Prinzipien. Beide Probleme lassen sich nicht mit den Methoden lösen, die sie verursacht haben. Gleichzeitig ist die Lösung dieser Probleme für die breite Masse der Pferde und Reiter die größte Herausforderung. Die Herausforderung für die Meister ist es, einen Weg zur Piaffe zu beschreiben und zu beschreiten, der auch vermeintlich schwachen und untalentierten Pferden und Reitern nicht schadet, anstatt hervorragendes "Pferdematerial" schnell ans Ziel zu bringen. Also:
Biomechanik und Piaffe ...
… oder warum eine Piaffe mit
zurückgestelltem Vorderbein nicht „fast richtig“ ist sondern
einfach von nicht verstandenen biomechanischen Grundlagen zeugt –
ebenso wie die Piaffe mit senkrechten Vorderbein, aber weggestellter
Hinterhand. Anlass zum Schreiben dieses Textes war ein Kommentar in
einem Reiterforum, dass die echte Piaffe schwer zu erarbeiten sei und
man froh sein könne, wenn es „wenigstens schon so“ (...wie das Beispielbild
mit zurückgestelltem Vorderbein in diesem Forum) aussähe. Leider führt der Weg von
der falschen zur echten Piaffe nicht einfach ein Stück weiter
vorwärts, sondern den ganzen langen Weg zurück zur Grundausbildung
und zum grundlegenden Bewegungsverständnis von Mensch und Pferd –
und von dort aus ganz langsam wieder vorwärts, über Jahre (!)
ständig wiederkehrende alte Muster löschend und neue erarbeitend.
Symptome Trageerschöpfung:
Herausgedrückte Bugspitze, untergeschobene Hinterhand mit
abgekipptem Becken, zurückgestellte Vorderbeine (u.a.).
Falsche Piaffe:
Herausgedrückte
Bugspitze, untergeschobene Hinterhand mit abgekipptem Becken,
zurückgestellte Vorderbeine.
Biomechanische Funktion der
Vorderbeine:
inklusive Schulterblatt und Rumpfheber: Den
Pferderumpf auf Abstand zum Boden halten, und das sogar nach
rückwärts-aufwärts mit Druck gegen das Reitergewicht –
nicht aber gegen die Hinterhand.
Biomechanische Funktion der
Hinterhand:
Schieben. Den Rumpf vorwärts schieben, damit er
nicht rückwärts aus der thorakalen Faszienschlinge rutscht.
Schieben, bis das Vorderbein mindestens senkrecht steht, denn erst
dann ist gesichert, dass das Gewicht nicht wieder zurückgerollt
kommt...
Es gibt eine schöne Übung für die
Motorradfahrer unter den Reitern: Sucht euch einen mittelhohen
Bordstein, fahrt euer Motorrad im 90°-Winkel davor und haltet mit
dem Reifen am Kantstein an. Jetzt Gas geben und ohne Bremse, nur mit
Gas und Kupplung, das Motorrad genau auf die Kante fahren und dort in
der Balance halten. Nicht rückwärts runterrollen, nicht
drüberfahren. Das ist Kontrolle. Vorsicht: Je nach Höhe des
Bordsteins und der Länge der eigenen Beine im Verhältnis zur
Sitzbankhöhe kommt man nicht mehr mit den Füßen auf den Boden.
Natürlich kann man auch genau auf der
Kippe die Bremse ziehen, aber dann ist die Übung nicht verstanden.
Wenn die Kupplung anfängt zu stinken, ist auch was verkehrt. ;))
Was passiert bei der falschen Piaffe
der Reitkünstler? Das Becken des Pferdes wird aktiv (Sporen, Gerte,
Rückwärtsrichten) abgekippt. Dadurch ist die Schubkraft des Pferdes
außer Gefecht gesetzt. Deshalb muss die Vorhand den Rumpf ziehen,
anstatt ihn zu heben – daher das zurückgestellte Vorderbein.
Deshalb wird die Bugspitze nach vorne gedrückt, um wieder halbwegs
in die Balance über der Vorhand zu kommen. Das Pferd federt sein
Gewicht nicht in die Hanken sondern beugt diese mit Muskelkraft und hebt nur die Füße.
Auf das Motorrad übertragen bedeutet
das: Wir lassen aus dem Hinterrad die Luft raus, heben das Vorderrad
an und schieben den Kantstein drunter. Dagagen ist die Variante mit
der Bremse echt noch elegant.
Bei der falschen Piaffe der FN-Reiter
bleibt das Vorderbein zwar häufig senkrecht, die Hinterhand bleibt jedoch steil und
herausgestellt. Auch hier arbeitet das Pferd in erster Linie mit
Kraft in der Vorhand, die Hinterhand jedoch wirkt wie ein hüpfendes
Anhängsel, aus dem gerade so viel Schub nach vorne eiert, dass die
Vorhand eine Piaffe vortäuschen kann. Hier ist der Motor so weit
gedrosselt, dass das Motorrad mit Vollgas und ohne Kupplung genau bis
auf den Kantstein kommt – aber nicht weiter.
Was alle gemeinsam haben: Ohne
Schubkraft federt das Pferd in der Faszie nach unten, es
hebt mit jedem Tritt zwar die Füße, aber nicht den Rumpf. In einer
echten Piaffe, die die
perfekte Kontrolle der Schubkraft durch das Pferd
(nicht durch den Reiter) zeigt, federt der Rumpf nach oben und nimmt das jeweilige Vorderbein
mit. Das Pferd fragt mit jedem Tritt „Darf ich vorwärts?“ Es
könnte jederzeit das Gewicht stärker in die Hanken fallen lassen,
um mit der Entladung der Faszie im nächsten Moment anzugaloppieren
oder eine Kapriole zu springen. Man sollte das Gefühl haben, dass
das Pferd sich sammelt, weil es die nächste Aufgabe vorbereitet.
Echte Kontrolle der Schubkraft entwickelt sich über Jahre, zusammen
mit der echten Hankenbeugung. Dieser Begriff bezieht sich auf die
Beugung, das Einfedern der großen Gelenke der Hinterhand -
Hüftgelenk, Knie und Sprunggelenk - unter Last. Das hat mit dem
Abkippen des Beckens (im Lumbosakralgelenk! Das ist anders als beim Menschen!) nichts zu tun und auch nichts mit gewinkeltem
Anheben der Beine. Vor allem entwickelt sich das alles nicht durch
Piaffe üben.
Die perfekte Piaffe
ist m. E. nur zu erreichen, wenn man die Körperintelligenz des
Pferdes und seine funktionale Versammlungsfähigkeit anspricht und ausbildet. Und wenn man die Grundprinzipien der
Biomechanik verstanden, erspürt und verinnerlicht hat.
Warum aber sollten wir
uns und den Pferden das Leben versauen mit dem ewigen Streben nach
einer Form, wenn das Spiel mit den Funktionen "Tragen" und "Bewegen" doch so viel Freude
und Befriedigung bringt? Sollte mich irgendwann in den nächsten
Jahren eines der Pferde mit denen ich arbeite von sich aus fragen,
wie eine Piaffe geht – na, dann fangen wir munter an zu üben!